Das Jahr 2022 wird für Versicherungsmakler wohl neben Digitalisierung und Personalgewinnung hauptsächlich von zwei Themenfeldern bestimmt werden. Da ist zunächst das Thema Nachhaltigkeit, das heißt ESG. Hier macht die EU mit ihrem „Green Deal“ erheblichen Druck auch auf die Versicherungswirtschaft. Diesen Druck dürfte die neue Regierung noch einmal verstärken, zumal die Versicherungsvermittler in den Zuständigkeitsbereich des Wirtschaftsministeriums und nicht des Finanzministeriums fallen.
Beratungspflicht bezüglich Nachhaltigkeit
Spätestens im Spätherbst 2022 werden wir wohl eine Beratungspflicht bezüglich Nachhaltigkeit bei der Vermittlung von Versicherungsprodukten haben. Diese Beratungspflicht wird sich nicht nur auf Versicherungsanlageprodukte erstrecken, sondern auch die Versicherer selbst als Produktlieferant von Kompositversicherungen umfassen.
Für die Versicherer stellt sich auch die Frage, ob und was genau sie unter ESG-Aspekten in Zukunft noch versichern wollen. Dass einige Versicherer bereits jetzt keine Kohlekraftwerke mehr versichern, ist erst der Anfang! Sind Tankstellen in Zukunft noch versicherbar, weil sie fossile Brennstoffe verkaufen? Was ist mit Spielzeugläden, die noch Plastikwaffen für Kinder, Indianerverkleidungen und Pippi-Langstrumpf-Bücher in der Ursprungsübersetzung mit dem „Unwort-König“ verkaufen? Insoweit werden die Versicherungsmakler spannende Zeiten erleben.
Wir empfehlen unseren Mitgliedern, obwohl noch keine Taxonomie-Verordnung für die Beurteilung der Nachhaltigkeit vorliegt, bereits jetzt alle ihre Kunden einmal daraufhin durchzugehen, ob diese wohl ein zukunftssicheres Geschäft betreiben oder nicht. Noch kann man Änderungen planen und auf den Weg bringen. Wenn man später weder Kredite noch Versicherungsschutz bekommt, dürfte es zu spät sein!
Altersvorsorge: Faire Chance für Vermittler
Das zweite Megathema wird die Frage der zukünftigen Ausrichtung der Altersversorgung sein und die Rolle, die die private Versicherungswirtschaft darin spielt. Es ist kein Geheimnis, dass in Brüssel bereits wieder die Fragen des „independent advice“, „hard disclore“ und/oder des Umstiegs auf das Honorarsystem sehr ernsthaft diskutiert werden. In Deutschland kommt hinzu, dass die Vertriebskosten und hier die Abschlussprovision gerade von Politik und Verbraucherschützern als zu hoch angesehen werden und deshalb solche Modelle wie die Deutschland-Rente, die Extra-Rente oder der schwedische Staatsfond in der Diskussion sind.
Versicherungsförmige Altersversorgung unter Druck
Die Versicherungswirtschaft hat es insoweit versäumt, ein vernünftig kalkuliertes Riester-Nachfolgeprodukt zu schaffen und ins Schaufenster zu stellen. Eine richtige Bremse, nur private Versicherungslösungen als Zusatzversorgung zuzulassen, ist dem neuen Koalitionsvertrag auch nicht zu entnehmen, sodass zusammen mit EU-Vorgaben das System der versicherungsförmigen Altersversorgung zusätzlich erheblich unter Druck geraten könnte.
Hier werden wir als Verband in Brüssel und in Berlin alles daransetzen, der Versicherungswirtschaft und vor allen den Vermittlern eine faire Chance zu eröffnen. Es ist ein Irrglaube, dass Altersvorsorge in einer komplexen Welt als „One-fits-it-all-Lösung“ zu konzipieren ist. Wir hängen als Sachwalter des Kunden am Selbstverantwortungsprinzip mit Auswahlmöglichkeiten für unsere Kunden. Es bleibt also spannend.
Über den Autor
Dr. Hans-Georg Jenssen Geschäftsführender Vorstand des Bundesverband Deutscher Versicherungsmakler e. V.