Liebe LeserInnen,
Wir möchten heute einen bewegenden Reisebericht von Ulrike Lorenzen, Vorsitzende der “Patengemeinschaft für Kinder in Indien e.V.” mit Ihnen teilen. Seit vielen Jahren unterstützen wir stolz diese Organisation, die sich leidenschaftlich für benachteiligte Kinder in Indien einsetzt (mehr Informationen: Verantwortung ). Der folgende Bericht gewährt einen Einblick in die aktuellen Entwicklungen und Erfahrungen, die die Patengemeinschaft vor Ort gemacht hat.
Indien, im August 2023
In diesem Jahr bin ich untypischerweise im August nach Indien gereist. Durch die Pandemie haben sich Terminverschiebungen ergeben und ich erwarte heißes und feuchtes Wetter. Aber das Klima zeigt sich von seiner guten Seite, der Monsoon ist in diesem Jahr im Norden stärker als im Süden des Landes. Und so verläuft meine Rundreise ohne Zwischenfälle.
Über Indien wird in dieser Zeit viel berichtet. Auf den ersten Blick scheinen es positive Meldungen zu sein
Die indische Volkswirtschaft wächst unaufhörlich und die Perspektive für die Zukunft scheint gut. Im August landete die Raumsonde „Chandrayaan – 3“ auf dem Mond. Am 9. und 10. September fand der G-20 Gipfel in Delhi statt. Der indische Staat pflegt die Außenwirkung eines aufstrebenden Schwellenlandes mit wirtschaftlicher Stärke. Aber die Probleme befinden sich im Innern des Landes: “Es ist schade, dass Indiens Slogan für den G-20 Gipfel ‹Eine Welt, eine Familie, eine Zukunft› nicht für Indien selber gilt.
“Die dringlichsten Herausforderungen für Indien kommen von innen, nicht von außen.”
Devesh Kapur, Professor an der Johns-Hopkins-Universität
Das wirtschaftliche Wachstum kommt leider bei der armen und benachteiligten Bevölkerung nicht an. Sozialleistungen gibt es nach wie vor kaum. Die Armut wächst und die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer. Die Nachrichten über Indien, die bei uns in Europa ankommen, ergeben nicht das Bild, das man erhält, wenn man sich im Land bewegt und „ganz normale“ Orte besucht.
Unsere Unterstützung der Armen und Schwachen ist nötiger denn je!
Die hohen, ausländischen Investitionen im wirtschaftlichen Bereich sind in Indien hochwillkommen und werden unterstützt. Die engagierte Hilfe von ausländischen NGOs dagegen stellt nur einen vergleichsweisen kleinen Teil der Zahlungen aus dem Ausland dar. Diese Gelder sind entsprechend nicht sehr wichtig für den Staat und werden durch hohe Auflagen eher behindert.
Welche Aufgaben hat die Patengemeinschaft?
Kinderheime
Wie bereits mehrfach berichtet, wird der Betrieb von Kinderheimen durch die Auflagen des „Child Welfare Commitees“ immer schwieriger. Erst nach einer ausdrücklichen Genehmigung durch diese Behörde darf ein Kind in unseren Heimen leben. Auch gibt es eine erhöhte Fluktuation, da die Kinder nun auch unregelmäßig im Laufe des Jahres ins Heim kommen und sie es manchmal ebenso unregelmäßig während des laufendenden Schuljahres verlassen. Dadurch wird die Planung für uns immer schwieriger. Wir bitten unsere Paten um Verständnis für diese Situation.
Wir sprechen unterwegs bei verschiedenen Gelegenheiten mit Menschen, die in Indien im sozialen Sektor arbeiten und erfahren, dass auch andere Kinderheime immer weniger Kinder aufnehmen dürfen. Um es ganz einfach auszudrücken: Die staatlichen Stellen in Indien möchten die Anzahl der Kinderheime reduzieren – besonders wenn sie vom Ausland unterstützt werden. Aber die Patenge- meinschaft wird weiterhin Kinder in Kinderheimen betreuen solange es geht! Bei meinen Besuchen in unseren Heimen konnte ich feststellen, dass der Standard in unseren Heimen wie immer sehr hoch ist und sich alle Mitarbeiter mit ungebrochenem Engagement um die Kinder kümmern. Wir führen nach wie vor 10 eigene Kinderheime, in denen insgesamt ca. 300 Kinder betreut werden. Außerdem unterstützen wir seit vielen Jahren sechs Heime in fremder Trägerschaft. Hier werden ca. 200 Kinder betreut.
Devika und Akshya sind neu in unserem Heim in Coimbatore und suchen eine/n Paten/in. Beide kommen aus sehr armen Familien. Die Eltern haben nur gelegentlich Arbeit und verdienen ca. 2-3€ pro Tag, was natürlich für die Versorgung der Familie unzureichend ist. So sind die Kinder in unserem Heim gut aufgehoben.
Familienhilfe
Seit vielen Jahren unterstützen wir sehr erfolgreich bedürftige Familien mit ihren Kindern. Auf meiner Reise haben wir wieder viele Familien zuhause besucht und neu in unser Hilfsprogramm aufgenommen. Eine alleinerziehende Mutter mit einem Kind kann mit 35€ im Monat über die Runden kommen. Für jedes weitere Kind werden 5€ benötigt. Es ist schön zu sehen, wie dieser für uns kleine Beitrag den Familien ein zuverlässiges, regelmäßiges Einkommen beschert und deren Leben entscheidend verbessert. Die Kinder gehen von zu Hause aus in die Schule und wir hören diverse Erfolgsgeschichten von guten Schulabschlüssen und einer guten Berufswahl. Die Mütter tun alles, um ihren Kindern eine gute Schul- bildung zu ermöglichen. Bindhu C.K. hat ihren Mann verloren und muss nun allein für ihre zwei kleinen Kinder sorgen. Wir haben sie in unser Hilfsprogramm aufgenommen und suchen einen Paten für diese Familie.
Wir bieten den Familien kein „rundum sorglos Paket“, sondern eine solide, regelmäßige, zuverlässige Unterstützung, die ihnen eine Grundlage bietet, das Alltagsleben gut zu meistern. Es muss unserer Auffassung nach immer noch Raum und Notwendigkeit zur Eigeninitiative bleiben: das ist gut für das Selbstbewusstsein und die Würde!
Neu: Schulkinder werden direkt unterstützt
Da wir weniger Kinder in unseren Heimen betreuen dürfen, unterstützen wir Schulkinder direkt in den Familien. Es sind oft sehr begabte Schülerinnen und Schüler, deren Familien wir mit dieser Unterstützung den regelmäßigen Schulbesuch der Kinder ermöglichen – sie müssen dann keiner Arbeit nachgehen, um zum Familienunterhalt beizutragen. Vor der Aufnahme besuchen wir die Kinder zu Hause. In den meisten Fällen leben sie mit ihren Müttern in ärmlichsten Verhältnissen in gemieteten Unterkünften. Die Väter und Ehemänner sind oft verstorben oder haben die Familien verlassen. Die Geschwister Raja, Shaktivel und Lakshmi leben mit Ihrer Mutter in extrem ärmlichen, beengten Verhältnissen. Alle gehen regelmäßig zur Schule und lernen sehr gut.
Diese Kinder unterstützen wir mit 20€/Monat. Nach dem Schulabschluss wird der Beitrag für die Berufsausbildung ein wenig angepasst. Während meiner Reise habe ich wieder viele dieser Kinder zu Hause besucht und ich war sehr beeindruckt von der Zielstrebigkeit dieser Kinder und ihren Müttern.
Unterstützung für Ausbildung und Studium
Wir unterstützen mittlerweile 450 junge Erwachsene während der Ausbildung oder im Studium. Es sind überwiegend junge Frauen, obwohl es auch wichtig ist, die jungen Männer nicht aus den Augen zu verlieren. Denn Bildung ist immer noch der beste Garant für eine gerechte und gleichberechtigte Gesellschaft. Heute hat Indien 1.4 Mrd. Einwohner, das Durchschnittsalter beträgt gerade mal 27 Jahre. Diese Gesellschaftsstruktur macht es für junge Leute in Indien schwer, eine Arbeit zu finden. Die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt ist riesig und ohne Ausbildung hat man kaum eine Chance, den Teufelskreis der Armut zu durchbrechen. Krishnapriya ist 18 Jahre alt und kommt aus einer armen Adivasi Familie. Sie hat die Schule erfolgreich beendet und studiert nun „Englisch“. Sie ist die erste in ihrer Familie, die ein Studium beginnt. Oft unterstützen unsere Paten Ihre Patenkinder bis zum Ende der Berufsausbildung, aber wir erhalten zunehmend Anfragen nach Hilfe von jungen Leuten von außerhalb. Wir unterstützen die jungen Erwachsenen durch ein direktes Patensystem oder über unseren Ausbildungsfond und wir freuen uns sehr über Spenden für diesem Bereich.
Aparna (18) und Anupama (14) leben mit ihrem bettlägerigen Vater in einem unfertigen Haus unter sehr schlechten Bedingungen. Die Mutter ist vor über 10 Jahren verstorben. Beide Mädchen werden seit ein paar Monaten von Paten unterstützt. Wir haben die Mädchen besucht und ich war tief beeindruckt. Beide lernen sehr gut in der Schule, führen den gesamten Haushalt und sind dabei fröhlich und zuversichtlich. Um der Familie ein halbwegs vernünftiges Umfeld zu bieten, möchten wir einige Baumaßnahmen im Haus vornehmen. Die Kosten belaufen sich auf ca. 3.000€. Diese Maßnahme möchten wir über zweckungebundene Spenden finanzieren.
Wir freuen uns über zweckgebundene Spenden!
Es besteht für die Patengemeinschaft zunehmend die Notwendigkeit, zweckungebundene Spenden zu generieren. Unser System der persönlichen Einzelpatenschaften funktioniert nach wie vor sehr gut. Aber viele, vor allem jüngere Menschen, möchten sich nicht mehr für längere Zeit festlegen und schnell und unkompliziert beitragen. Wir versuchen, dem zu begegnen, indem wir uns in den sozialen Medien bewegen und eine Zahlmöglichkeit über paypal auf unserer Webseite eingerichtet haben.
Im Orthopädiezentrum CORC in Mylaudy traf ich Dr. Johnson, die Physiotherapeuten und anderen Mitarbeiter dort. Alles läuft sehr gut und viele Kinder werden vor Ort regelmäßig behandelt. Der Kontakt zu den deutschen Ärzten und Physiotherapeuten findet regelmäßig statt. Besuche sind für Anfang 2024 geplant.
Das Frauenteam der Arche NoA in Mylaudy hat gerade neue Stoffe eingekauft und es werden neue Textilien genäht. Im Mädchenheim/Kidz Shelter in Sivakasi treffen wir die Heimleiterin Nisha und die Kinder. Sie sind wie immer sehr interessiert am Austausch und freuen sich über unseren Besuch.
Ich danke unseren Kollegen in Indien für die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit und für einen arbeitsreichen und fröhlichen Aufenthalt.